5.1 Die bevorzugte Stellung Khadijas, der Frau Muhammads

Khadija glaubte an Muhammad, hielt die Offenbarung für wahr und unterstützte ihren Ehemann in seinen Vorhaben. Sie war die erste, die an Allah, an seinen Gesandten und an die Offenbarung glaubte. Dadurch hat ihm Allah Trost geschickt, denn sooft er etwas Unangenehmes hörte, Widerreden erfuhr, man ihn der Lüge bezichtigte und er darüber betrübt war, tröstete ihn Allah durch sie. Immer, wenn er zu ihr heimkehrte, richtete sie ihn auf, versicherte ihn ihres Glaubens an ihn und stellte ihm das Gerede der Menschen als geringfügig dar.

Hischam ibn 'Urwa hat mir von seinem Vater erzählt, der von Abd Allah ibn Dja'far ibn Abi Talib gehört hat, Muhammad habe gesagt: “Mir ist befohlen worden, Khadija zu verkünden, daß sie ein Haus aus Qassab erhalten wird, in dem kein Geräusch und keine Krankheit herrscht” (Qassab ist eine ausgehöhlte Perle). Auch hat mir ein zuverlässiger Mann erzählt, Gabriel sei zu Muhammad gekommen und habe ihm gesagt: “Grüße Khadija von ihrem Herrn!” Als Muhammad ihr diesen Gruß überbrachte, sagte sie: “Allah ist das Heil, von ihm kommt das Heil und Heil über Gabriel!”1

5.2 Als die Offenbarungen ausblieben

Als die Offenbarungen eine Zeitlang ausblieben, wurde Muhammad darüber sehr betrübt.2

Da überbrachte ihm Gabriel die Sure al-Duha 93,1-9, in der Allah, der ihm viel Gnade erwiesen hatte, schwor:

Bei dem klaren Tag und der sinkenden Nacht! Dein Herr hat sich nicht von dir abgewandt und ist dir nicht abgeneigt, dein zukünftiges Leben wird besser als das gegenwärtige sein. Was ich bei deiner zukünftigen Rückkehr zu mir beschlossen habe, wird dir mehr wert sein, als die dir in diesem Leben vorausgeschickte Gnade. Dein Herr wird dir so viel geben, daß du zufrieden sein wirst (Sieg in diesem Leben und Lohn in der zukünftigen Welt). Fand er dich nicht als Waise und verschaffte dir Fürsorge? Fand er dich nicht im Irrtum gefangen, und leitete dich? Warst du nicht arm, und er machte dich reich?

Allah erinnerte ihn mit diesen Worten, wie er angefangen hatte, sich ihm barmherzig zu erzeigen und wie er ihn durch seine Huld aus dem Waisenstand, aus Irrtum und Armut gezogen hatte.

5.3 Beginn der Verpflichtung zum Gebet

Dann wurde Muhammad das Gebet vorgeschrieben, und er betete. Zunächst wurde er gelehrt, wie die Gebetsabläufe praktisch durchzuführen seien. Später hat Allah das Gebet für jeden, der sich zu Hause aufhält, auf viermaliges Niederfallen erhöht. Für den Reisenden blieb es bei der ersten Bestimmung.

Als Muhammad vorgeschrieben wurde, wie und was er beten solle, geschah dies folgendermaßen: Gabriel kam auf der Höhe von Mekka zu ihm, drückte eine Ferse nach dem Tale zu in die Erde, und es sprudelte eine Quelle hervor. Da wusch sich Gabriel. Muhammad sah ihm zu, wie er sich vor dem Gebet reinigte. Dann folgte er seinem Beispiel.3 Nun betete Gabriel, und Muhammad betete ihm die Worte nach. Als Gabriel sich entfernt hatte, ging Muhammad zu Khadija und zeigte ihr, wie man sich vor dem Gebet waschen müsse. Dann betete er, wie Gabriel es ihm vorgemacht hatte, und sie betete ihm nach.4

Gabriel hatte Muhammad die fünf Gebetszeiten vorgeschrieben: Das Mittagsgebet fand statt, sobald die Sonne anfing, sich nach Westen zu wenden. Das Nachmittagsgebet begann, sobald der Schatten ihm gleich war, das Abendgebet, als die Sonne unterging, und das letzte, das Nachtgebet, sobald die letzte Abendröte verschwunden war. Das Morgengebet wurde verrichtet, sobald die Morgenröte angebrochen war, das Mittagsgebet wieder, sobald der Schatten ihm gleich war, das Nachmittagsgebet, sobald der Schatten zweimal so groß war wie er. Das Abendgebet fand wie am vorhergehenden Tag statt, als die Sonne untergegangen war, das Nachtgebet, als das erste Drittel der Nacht vorüber war. Es folgte wieder das Morgengebet, sobald der Morgen anbrach, aber die Sonne noch nicht am Horizont zu sehen war.5

Dann sagte Gabriel zu Muhammad: “Die Zeit des Gebets liegt zwischen der, in welcher du gestern und heute gebetet hast.”

5.4 Der Vetter Muhammads, Ali, wird der erste Gläubige unter den Männern

Die erste männliche Person, die an Muhammad glaubte, mit ihm betete und seine Offenbarungen für wahr hielt, war der zehnjährige Ali ibn Abi Talib ibn Abd al-Muttalib ibn Haschim. Allah hatte ihm die Barmherzigkeit erwiesen, daß er schon vor dem Islam bei Muhammad lebte.6

Es war ein Werk göttlicher Huld und Gnade gegenüber Ali, daß Quraisch einst von großer Unfruchtbarkeit heimgesucht wurde. Da aber Abu Talib eine große Familie hatte, sagte Muhammad zu seinem Onkel al-'Abbas, dem reichsten Mann unter den Banu Haschim: “Du weißt, daß dein Bruder Abu Talib eine große Familie hat und daß alle unter dieser Dürre zu leiden haben. Darum laß uns zu ihm gehen und es ihm leichter machen, indem ich ihm einen Sohn abnehme und du einen.” Al-'Abbas war damit einverstanden. Er ging mit Muhammad zu Abu Talib. Sie sagten ihm, sie seien gekommen, ihm Erleichterung zu verschaffen, bis die Not nachlasse. Abu Talib erwiderte: “Wenn ihr mir Ali laßt, so tut, was ihr wollt.” Muhammad nahm Ali und drückte ihn an sich; al-'Abbas tat das gleiche mit Dja'far. Auf diese Weise kam Ali zu Muhammad. Er folgte ihm, glaubte an ihn und hielt ihn für wahrhaftig. Dja'far aber blieb bei al-'Abbas, bis er zum Islam übertrat und seines Onkels nicht mehr bedurfte.

Manche Gelehrte behaupten, Muhammad habe, sobald die Zeit zum Gebet kam, die Täler bei Mekka aufgesucht. Ali habe ihn – ohne daß sein Vater und seine Stammesgenossen etwas davon wußten – dabei begleitet und mit ihm gebetet. Abends kehrten sie gemeinsam zurück. Dies ging eine Weile so, bis sie eines Tages von Abu Talib beim Gebet überrascht wurden.

7 Da fragte dieser Muhammad: “Was ist das für eine Religion, an die du glaubst?” Er antwortete: “Das ist die Religion Allahs, seiner Engel und seiner Gesandten. Es ist die Religion unseres Vaters Abraham, mit der mich Allah zu den Menschen geschickt hat. Du, mein Onkel, verdienst es am meisten, daß ich dir Belehrung zukommen lasse und dich zur Leitung aufrufe. Dir steht es am besten zu, meinem Ruf zu folgen und mir beizustehen.” Abu Talib erwiderte: “Ich kann, teurer Neffe, den Glauben meiner Väter nicht verlassen, aber, bei Allah, solange ich lebe, soll dir nichts zuleide getan werden.” Außerdem erzählt man, er habe Ali gefragt: “Was hast du für einen Glauben, mein Sohn?” Ali habe geantwortet: “Ich glaube an den Gesandten Allahs, mein Vater, und halte seine Offenbarung für wahr. Ich bete mit ihm zu Allah und folge ihm.” Man behauptet, Abu Talib habe darauf erwidert: “Er wird dich gewiß nur zum Guten anstiften. Schließe dich ihm ruhig an!”

5.5 Der freigelassene Sklave Muhammads, Zaid ibn Haritha, wird der zweite männliche Moslem

Danach bekehrte sich Zaid ibn Haritha, der Freigelassene Muhammads. Er war der erste erwachsene Mann, der sich bekehrte. Hakim ibn Hizam ibn Khuwailid hatte ihn als angehenden Jüngling aus Syrien mitgebracht. Als seine Tante Khadija – damals schon die Gattin Muhammads, ihn besuchte, schenkte er ihr einen Sklaven, den sie selbst auswählen konnte. Ihre Wahl fiel auf Zaid. Als Muhammad Zaid bei ihr sah, erbat er sich ihn von ihr. Sie schenkte ihn ihrem Gatten, und er gab ihm die Freiheit und adoptierte ihn als Sohn. Dies geschah bereits vor seiner Sendung. Später begegnete Haritha seinem Sohn Zaid bei Muhammad. Muhammad sagte zu Zaid: “Wenn du willst, bleibe bei mir, wenn nicht, so ziehe mit deinem Vater.” Zaid zog vor, bei Muhammad zu bleiben. Als Allah Muhammad als Propheten sandte, glaubte er an ihn, wurde Moslem und betete mit ihm. Als Allah später anordnete: “Nennt die Adoptivsöhne nach ihren Vätern,” nannte er sich Zaid ibn Haritha.

5.6 Die Bekehrung und der Eifer Abu Bakrs, des späteren Schwiegervaters Muhammads

Danach bekehrte sich Abu Bakr ibn Abi Quhafa, der eigentlich 'Atiq hieß. Sein Vater war Uthman. Der eigentliche Name Abu Bakrs war Abd Allah, während “'Atiq” nur sein Beiname war, den er wegen seines schönen, edlen Gesichts erhalten hatte. Als Abu Bakr Moslem wurde, bekannte er sich offen zum Islam und forderte auch andere auf, sich zu Allah und seinem Gesandten zu bekehren. Er war ein leutseliger, liebenswürdiger Mann, den jedermann gern hatte. Er war der Gelehrteste unter den Quraischiten und der Kundigste, was die Vorfahren der Quraischiten, ihre Schwächen und Vorzüge, betraf. Er war ein wohltätiger Kaufmann mit guten Sitten. Die Leute seines Stammes kamen häufig zu ihm, um ihre Angelegenheiten mit ihm zu beraten, weil er im Handel und in anderen Dingen bewandert war und sein Umgang jedem gefiel. Er rief alle zum Islam auf, welche ihm vertrauten und seine Gesellschaft suchten.

Durch Abu Bakrs Aufforderung wurde Uthman ibn 'Affan bekehrt, ferner Zubair ibn al-Awwam, Abd al-Rahman ibn Auf und Sa'd ibn Abi Waqqas und Talha ibn 'Ubaid Allah. Als sie seinem Rufe folgten, ging er mit ihnen zu Muhammad. Sie bekannten sich zum Islam und beteten mit ihm. Muhammad soll gesagt haben: “Außer Abu Bakr8 habe ich niemanden zum Islam aufgerufen, der nicht zuerst Bedenken, Zweifel und Einwände gehabt hätte. Abu Bakr war der einzige, der nichts einzuwenden hatte und keinerlei Bedenken vorbrachte.”

Diese acht Männer sind allen anderen Gläubigen im Islam vorangegangen. Sie beteten, glaubten an Muhammad und an seine göttliche Offenbarung.


Footnotes
1 Khadija war es, die Muhammad zu seinem Sendungsbewußtsein verhalf und ihn immer wieder ermutigte, an seine prophetische Berufung zu glauben. Es war eine Frau, die als erste an Allah und seinen Gesandten glaubte. Mit ihrem Eifer als Gattin stabilisierte sie ihren Mann und beeinflußte ihre Töchter, an seine Lehre zu glauben. Der Islam begann im Rahmen einer Familie, während Jesus seine Jünger aus dem Kreis der Bußfertigen um Johannes den Täufer berufen hatte (Johannes 1,35-51).
2 Die Offenbarungen blieben zweieinhalb Jahre lang aus. Das trieb Muhammad zur Verzweiflung und zu der Überzeugung, von Allah verlassen und verworfen zu sein. Er ging öfters zum Abgrund des Berges Hira in der Absicht, sich dort hinabzustürzen (Bukhari, Kitabu fada’il al-nabi).
3 Jeder Moslem muß sich vor jedem offiziellen Gebet reinigen. Die Waschungen sind genau vorgeschrieben. Wer die Waschungen nicht in der rechten Reihenfolge erfüllt, dessen Gebet wird wertlos. Die Waschungen im Islam verdeutlichen, daß der Moslem ein verborgenes Bewußtsein von Schuld und Sünde besitzt und ahnt, daß ohne Vergebung der Sünden ein Gebet von Gott nicht erhört werden kann. Wasser kann jedoch nicht von Sünden reinigen. Die islamischen Waschungen bleiben ein äußeres Symbol, das keine innere Realisierung kennt. Die heutige Praxis des fünfmaligen Gebets kann aus dem Qur’an nicht abgeleitet werden. Diese Vorschriften beruhen auf mündlichen Traditionen Muhammads.
4 Das offizielle Gebet im Islam enthält kein freies Reden mit Gott, dem Vater, in Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung, sondern stellt eine buchstäblich vorgeschriebene, straff geordnete Liturgie zur Anbetung des großen, fernen, unbekannten Allah dar. Muhammad kannte kein geistliches Beten. Der Geist in ihm betete nicht. Der Engel Gabriel betete ihm vor und Muhammad sprach die Worte nach (Sure al-Fatiha 1,1-7).
5 Der Tag eines Moslems ist in die Anbetung Allahs eingebettet. Das islamische Gebet befestigt den Moslem in einer theozentrischen Kultur. 34mal wirft sich ein Moslem in seinen fünf Gebetszeiten vor Allah zu Boden. Er ist deshalb nicht frei, sondern an Allah ausgeliefet, ein Moslem. Die fünf Gebetszeiten sind das Rückgrat des Islam. Der anbetende Moslem stellt den inkarnierten Islam dar. Diese islamischen Gebete sind keine geistlichen, persönlichen Gebete als Antworten auf Gottes Wort, sondern bestehen aus vorgeschriebenen, festen Formulierungen, die Nachsprechen, Unterwerfung und Zucht verlangen. Diese gesetzliche Anbetung ist ein Gebet für Sklaven, nicht für freie Menschen, die Gott als ihren Vater ansprechen dürfen.
6 Ali war der Vetter Muhammads, zugleich sein Pflegesohn und später sein Schwiegersohn, der Fatima, die Tochter Muhammads, heiratete. Er wurde der vierte Kalif. Die Anhänger Alis und seine Verwandten hatten erwartet, daß er als der direkte Nachfolger Muhammads gewählt würde. An der Streitfrage um Ali und seine Söhne Hassan und Hussein spaltete sich der Islam in Sunniten und Schiiten. Letztere betrachten ihn als ihren ersten Imam.
7 Als die Zahl der Moslems größer wurde und über den Rahmen der Familie Muhammads hinauswuchs, trafen sie sich in einem einsamen Tal zum Gebet. Sie wagten anfangs nicht, ihre Gebete in der Öffentlichkeit auszuüben.
8 Abu Bakr, der erfahrene Kaufmann, wird in seiner Gradlinigkeit manchmal mit Petrus verglichen. Er wurde nach dem Tod Muhammads der Fels, auf dem sich die anderen Moslems aufbauten. Abu Bakr hat den Islam in seiner kritischsten Stunde zusammengehalten. Er war ein enger Vertrauter Muhammads und einer seiner Schwiegerväter. Seine Tochter Aischa wurde die Lieblingsfrau Muhammads. Sie war neunjährig mit ihm verheiratet worden. Als Muhammad starb war sie erst 18 Jahre alt.