Muhammads Auswanderung nach Medina (622 n. Chr.)1

Aischa, die Mutter der Gläubigen, berichtete: “Muhammad versäumte es nie, des Morgens oder des Abends in die Wohnung Abu Bakrs zu kommen. An jenem Tage jedoch, als ihm Allah die Erlaubnis zur Auswanderung gab, kam er zur Mittagsstunde. Als Abu Bakr ihn sah, rief er: ‘Es muß etwas vorgefallen sein, daß Muhammad zu dieser Stunde kommt.' Als er eintrat, erhob sich Abu Bakr von der Sitzbank, und Muhammad setzte sich. Bei Abu Bakr war damals niemand außer mir und meiner Schwester Asma. Muhammad sagte: ‚Laß diese Personen aus dem Zimmer gehen!' Abu Bakr erwiderte: ‘Du stehst mir so nahe wie mein Vater und meine Mutter. Diese beiden sind meine Töchter!' Da sagte Muhammad: ,Allah hat mir die Auswanderung erlaubt!' Abu Bakr fragte: ,Reisen wir zusammen?' Als Muhammad diese Frage bejahte, weinte er vor Freude.” Aischa sagte: “Ich habe noch nie gesehen, daß jemand vor Freude weint!” Dann sagte Abu Bakr: “O Prophet Allahs! Ich halte schon zwei Kamele für diesen Fall bereit.” Sie dingten dann Abd Allah ibn Arkat – einen Mann von den Banu2 Dual ibn Bakr – als Führer und übergaben ihm die Kamele, die er bis zur verabredeten Zeit weiden ließ. Kein Mensch wußte etwas von der Abreise Muhammads außer Ali, Abu Bakr und dessen Familie. Muhammad benachrichtigte Ali von seiner Abreise und befahl ihm in Mekka zu bleiben, bis er den Leuten alles zurückgegeben habe, was sie Muhammad zur Aufbewahrung übergeben hatten.

 

 

11.1 Vom Aufenthalt Muhammads und Abu Bakrs in der Höhle

Muhammad und Abu Bakr verließen Abu Bakrs Haus gemeinsam durch eine Hintertür. Sie begaben sich in eine Höhle des Berges Thaur, die unterhalb der Stadt lag. Abu Bakr hatte seinen Sohn Abd Allah beauftragt, den Tag über zu horchen, was die Leute von ihnen sagten, und es ihnen abends zu hinterbringen. Abu Bakrs Freigelassener Amir ibn Fuhaira sollte am Tage seine Schafe auf die Weide führen und abends in die Höhle treiben, während seine Tochter Asma' ihnen des Nachts die nötigen Speisen bringen sollte. Drei Tage blieb Muhammad mit Abu Bakr in der Höhle. Die Quraisch hatten, sobald sie ihn vermißten, hundert Kamele als Preis für den ausgesetzt, der ihn zurückbringen würde. Abd Allah brachte den Tag bei den Quraisch zu, um zu hören, was sie über Muhammad und seinen Vater sagten. Das erzählte er ihnen abends. Amir ibn Fuhaira mischte sich unter die anderen Hirten Mekkas und führte abends die Schafe Abu Bakrs zur Höhle, damit sie sie melken und eines davon schlachten konnten. Wenn Abd Allah des Morgens die Höhle verließ, folgte ihm Amir mit den Schafen, um ihn zu verbergen. Als drei Tage vorüber waren und die Leute sich nicht mehr mit ihnen beschäftigten, ließen sie den Mann, den sie gemietet hatten, mit ihren beiden Kamelen kommen. Er führte auch ein drittes Kamel für sich selbst mit.

Asma brachte die Lebensmittel, hatte aber den Strick vergessen, an den der Schlauch gehängt werden sollte. Sie nahm daher ihren Gürtel vom Leib und benützte ihn als Strick. Abu Bakr führte das bessere Kamel Muhammad vor und sagte: “Besteige es! Ich gebe meine Eltern für dich hin.” Muhammad entgegnete: “Ich reite auf keinem Kamel, das mir nicht gehört.” Abu Bakr erwiderte: “Es gehört dir, du bist mir wie mein Vater und meine Mutter.” Muhammad sagte: “Nein. Um wieviel hast du es gekauft?” Als Abu Bakr den Preis nannte, sagte er: “Ich kaufe es um diesen Preis,” und Abu Bakr verkaufte es ihm.3 Sie stiegen dann auf, und Abu Bakr ließ Amir hinter sich sitzen. Er sollte sie auf dem Wege bedienen. Dann reisten sie ab.

Asma hat gesagt: “Als Muhammad und Abu Bakr abgereist waren, kam Abu Djahl mit einigen anderen Quraischiten auf unser Haus zu und blieb vor der Tür stehen. Ich trat zu ihnen hinaus. Sie fragten, wo mein Vater sei. Ich antwortete: ‘Bei Allah, ich weiß nicht, wo mein Vater ist.' Da erhob Abu Djahl, der ein roher, grober Mann war, seine Hand und versetzte mir einen so derben Schlag auf die Wange, daß mein Ohrring herausfiel.”

 

11.2 Wie Abu Quhafa zu Asma' kam

Yahya ibn Abbad ibn Abd Allah ibn Zubair hat mir berichtet, sein Vater Abbad habe ihm erzählt, seine Großmutter Asma' habe gesagt: “Als Muhammad zusammen mit Abu Bakr abreiste, nahm jener all sein Geld mit, fünf- oder sechstausend Dirham. Da kam mein Großvater Abu Quhafa, der blind war, und sagte: ,Ich glaube, er hat euch um seine Person und um sein Gut gebracht.' Ich erwiderte: ,Keineswegs, mein Großvater, er hat viel Gut zurückgelassen.' Ich nahm dann Steine und legte sie in eine Vertiefung im Haus, in welche er sein Geld zu legen pflegte, deckte sie mit einem Tuch zu, ergriff seine Hand und sagte: ,Lege einmal deine Hand auf dieses Geld!' Er tat es und sagte: ,Nun hat es keine Not, wenn er euch soviel Geld zurückgelassen hat. So hat er wohlgetan, das genügt euch.' Aber, bei Allah, er hatte uns gar nichts zurückgelassen. Ich sagte es nur, um den Alten zu beruhigen.”4

11.3 Stationen Muhammads bei seiner Auswanderung

Abd Allah ibn Arkat führte sie zunächst von den unteren Stadtteilen Mekkas an das Ufer unterhalb 'Usfans (etwa 60 km nord-westlich von Mekka), dann in die Niederung von Amadj (ca. 30 km weiter). Als er an Qudaid (12 km weiter, am Roten Meer gelegen) vorüber war, überquerte er mit ihnen die Straße nach Kharrar, kam dann nach Thaniyat al-Mara und schließlich nach Laqif. Dann führte er sie an den Zisternen von Laqif und von Madjadj vorüber, oder, wie Ibn Hischam glaubt, an der Zisterne von Madja. Dann kamen sie durch den Dattelwald von Madjadj und den von Dhu al-Ghudwain. Von hier führte er sie durch das Tal von Dhu Kischd nach Djadadjid, Adjrad, Dhu Salam, durch das Tal Aada, nach der Zisterne von Tahin und dann nach Ababid.

Dann lenkte er sie an al-Fadja vorüber und stieg mit ihnen nach al-'Ardj (ca. 250 km nördlich von Mekka) hinunter. Da hier eines ihrer Kamele vermutlich lahmte oder krank wurde, gab Aus ibn Hudjr, ein Mann vom Stamme Aslam, Muhammad eines seiner Kamele, das ibn al-Rida hieß und ihn nach Yathrib brachte. Auch gab er ihm einen seiner Diener mit, der Mas'ud ibn Hunaida hieß. Von al-'Ardj brachte ihr Führer sie nach Thaniyat al-Air, das rechter Hand von Rakuba liegt, nach dem Tal Rim hinunter und von hier nach Quba (Vorort von Medina, ca. 350 nördlich von Mekka), dem Wohnort des Banu Amr ibn Auf. Nach zwölf Nächten im Monat Rabi'a al-Awwal (3. Monat), an einem Montag während der Mittagshitze, als die Sonne nahezu den Zenit erreicht hatte, kamen sie in Yathrib5 an (ca. 6 km östlich von Quba').

 

11.4 Muhammads Ankunft in Quba', einem Vorort von Medina (September 622 n.Chr.)

Einige Gefährten Muhammads aus meinem Stamm haben erzählt: “Als wir hörten, Muhammad habe Mekka verlassen, sahen wir seiner Ankunft entgegen und gingen nach dem Morgengebet zum steinigen Feld, um auf ihn zu warten. Wir blieben, bis wir keinen Schatten mehr fanden. Dann kehrten wir um, denn es waren heiße Tage. Dasselbe taten wir am Tage seiner Ankunft. Wir waren bereits wieder nach Hause zurückgekehrt, als er ankam. Ein Jude6 erblickte ihn zuerst, und da er gesehen hatte, wie wir ihn erwarteten, rief er laut: ,O ihr Söhne Qailahs, euer Glück ist angekommen!'

Wir gingen hinaus und fanden Muhammad im Schatten einer Dattelpalme. Bei ihm befand sich Abu Bakr, der ihm an Jahren gleich war. Da die meisten von uns Muhammad früher nie gesehen hatten, wußten sie nicht, welcher von beiden er war. Als jedoch der Schatten von Muhammad wich und Abu Bakr ihm mit seinem Oberkleid Schatten spendete, erkannten wir ihn.”

Muhammad stieg, wie man erzählt, bei Kulthum ibn Hidm ab, der zu den Banu 'Ubaid gehörte. Nach anderen Berichten stieg er bei Sa'd ibn Khaithama ab. Diejenigen, welche ihn bei Kulthum wohnen lassen, behaupten aber, er habe sich nur zu öffentlichen Sitzungen in das Haus Sa'ds begeben, weil dieser unverheiratet war und die ledigen Gefährten Muhammads bei ihm wohnten. Deshalb hieß sein Haus auch das Haus der Ledigen. Allah allein weiß, was richtig ist.

 

11.5 Wie Muhammad seine Bleibe in Medina auswählte

Ali7 blieb noch drei Tage und drei Nächte in Mekka, um den Leuten zurückzugeben, was sie Muhammad anvertraut hatten. Dann folgte er Muhammad nach und stieg mit ihm bei Kulthum ab.

Muhammad blieb von Montag bis Donnerstag in Quba' und legte dort den Grundstein zu einer Moschee. Am Freitag führte ihn Al-lah weiter. Die Banu Auf hatten jedoch gedacht, er werde länger bei ihnen verweilen.

Zur Zeit des Freitagsgebets befand sich Muhammad bei den Banu Salim ibn Auf, und er betete dort, wo jetzt die Moschee inmitten des Tales Ranuna steht. Es war das erste Freitagsgebet, das er in Medina verrichtete. Itban ibn Malik und 'Abbas ibn Ubada mit anderen Männern von den Banu Salim forderten ihn auf, bei ihnen zu bleiben, da sie zahlreich und wohlgerüstet wären, um ihn zu beschützen. Er aber entgegnete: “Laßt das Kamel seines Weges gehen. Es hat von Allah Befehl, da zu ruhen, wo ich bleiben soll.” Da ließen sie es weiterziehen. Als es bei der Wohnung der Banu Bayada war, kam Ziyada ibn Labid und Farwa ibn Amr mit andern heraus und luden Muhammad in gleicher Weise ein, bei ihnen zu bleiben. Er aber gab ihnen dieselbe Antwort. Dasselbe wiederholte sich vor der Wohnung der Banu Sa'ida, der Banu al-Harith, der Banu 'Adi, welche seine entfernten Onkel waren, denn Salama, die Tochter 'Amrs, eine ihrer Frauen, war die Mutter Abd al-Muttalibs (dem Großvater Muhammads).

Das Kamel8 ging immer weiter bis zur Wohnung der Banu Malik ibn al-Nadjdjar. Dort kniete es vor der Tür der jetzigen Moschee nieder, wo sich zu jener Zeit ein Trockenplatz befand, der zwei Waisen gehörte, nämlich Sahl und Suhail, den Söhnen 'Amrs, von den Banu Malik ibn al-Nadjdjar. Als es niederkniete und Muhammad nicht abstieg, erhob es sich wieder und machte ein paar Schritte vorwärts – Muhammad hatte ihm nämlich die Zügel freigegeben und es nicht geführt, dann wendete es sich wieder um und kniete an derselben Stelle nieder, wo es sich zum erstenmal niedergelassen hatte. Dort blieb es, röhrte und legte den Hals auf den Boden. Muhammad stieg ab. Abu Ayyub Khalid ibn Zaid nahm das Gepäck ab und trug es in sein Haus, und Muhammad kehrte bei ihm ein. Er fragte dann, wem dieser Platz gehöre. Mu'adh ibn Afra antwortete: “Den zwei Waisen, Sahl und Suhail, die bei mir wohnen. Ich werde ihn zum Bau einer Moschee verwenden und sie dafür entschädigen.”

11.6 Vom Bau der ersten Moschee

Allah befahl Muhammad, eine Moschee9 zu bauen. Er blieb bei Abu Ayyub, bis seine Wohnungen und die Moschee gebaut waren. Er legte selbst mit Hand an, um die Gläubigen anzuspornen. Sowohl die Auswanderer wie auch die Hilfsgenossen arbeiteten voll Eifer daran. Ein Moslem hat folgenden Vers gedichtet:

Wenn wir müßig blieben, während der Prophet arbeitete,

so wäre es von uns ein verkehrtes Handeln.

Während des Baues sagten die Moslems folgenden Vers:

Nur das Jenseits ist das wahre Leben.

Allah! Erbarme dich der Hilfsgenossen

und der Ausgewanderten.

Muhammad wiederholte dieselben Worte, nannte aber die Auswanderer zuerst.10

 

Ammar trat mit Ziegelsteinen beladen heran und sagte zu Muhammad: “O Gesandter Allahs! Sie bringen mich um. Sie bürden mir mehr auf, als ich tragen kann.” Umm Salama, die Gattin Muhammads, erzählt: “Ich sah, wie Muhammad mit der Hand durch sein krauses Haar fuhr und sagte: ,Weh dir, Sohn Sumaiyyas! Diese Männer hier bringen dich nicht um, aber eine Schar Abtrünniger wird dich töten.'”

Muhammad blieb im Hause des Abu Ayyub, bis die Moschee und die Wohnungen gebaut waren. Dann zog er aus. Abu Ayyub hat erzählt: “Als Muhammad bei mir abstieg, wohnte er im unteren Stock und ich und die Mutter Ayyubs im oberen. Ich sagte ihm: ,O Prophet Allahs, du bist mir teurer als mein Vater und meine Mutter. Ich liebe es nicht und halte es für eine Sünde, daß du unten wohnst und ich über dir. Ziehe du hinauf und laß uns unten wohnen!' Er antwortete: ,O Abu Ayyub! Es ist für uns und die, welche uns besuchen, bequemer, wenn wir unten wohnen.' So blieb Muhammad unten wohnen und wir oben.”

“Einst zerbrach ein Gefäß, in dem wir Wasser aufbewahrten. Wir nahmen eine Decke, die einzige, die wir hatten, um den Boden aufzutrocknen, damit das Wasser nicht auf Muhammad hinuntertropfe und ihm schade.” Derselbe erzählte auch: “Wir bereiteten ihm das Abendessen und schickten es ihm. Wenn er uns das Übriggelassene zurückschickte, griffen wir, meine Frau und ich, nach der Stelle, die er mit seiner Hand berührt hatte und erwarteten einen Segen davon. Eines Abends schickten wir ihm ein Essen, das mit Zwiebeln und Knoblauch zubereitet war. Da schickte er es zurück, und wir sahen nirgends eine Spur von seiner Hand. Ich ging erschrocken zu ihm und sagte ihm: ,Ich habe keine Spur von deiner Hand am Essen gefunden,' und sagte ihm auch, daß wir stets von der Stelle, die seine Hand berührt hatte, gegessen haben, um dadurch gesegnet zu werden. Er antwortete: ,Ich habe den Geruch von Knoblauch darin gefunden, und ich bin ein Mann, an dem manche nebenher schnüffeln, um herauszufinden, wie er riecht. Ihr aber könnt es essen!' So aßen wir es denn, bereiteten ihm aber nichts mehr von solchen Pflanzen zu.”

 

11.7 Wie die Auswanderer Muhammad nach Medina folgten

Die Auswanderer folgten Muhammad nach Medina, und es blieb keiner in Mekka, der nicht zum Abfall vom Islam gebracht oder mit Gewalt zurückgehalten worden wäre. Die Auswanderer flüchteten jedoch nicht mit ihrer ganzen Familie und mit all ihrer Habe aus Mekka zu Allah und seinem Gesandten. Eine Ausnahme bildeten die Hausbesitzer vom Stamme Djumah, der Banu Djahsch ibn Riab. Sie waren Schutzgenossen der Banu Umaiyya und der Banu al-Bukair, und diese wiederum Schutzgenossen der Banu 'Adi ibn Ka'b. Ihre Wohnungen wurden verschlossen, als sie auswanderten, und es blieb niemand darin zurück.

Als die Banu Djahsch auswanderten, verkaufte Abu Sufyan ihr Haus an Amr ibn 'Alqama. Als die Söhne Djahschs dies hörten, sagte es Abd Allah ibn Djahsch dem Propheten. Dieser entgegnete: “Bist du nicht zufrieden, wenn dir Allah dafür ein besseres Haus im Paradies gibt?” Er antwortete: “Gewiß!” – “Nun,” versetzte Muhammad, “du sollst es bekommen.” Als Muhammad Mekka eroberte, sprach Abu Ahmad mit ihm wegen ihres Hauses. Muhammad zögerte mit der Antwort, und die Leute sagten zu Abu Ahmad: “Muhammad hat es nicht gern, wenn man auf Geldverluste zurückkommt, die man zu Ehren Allahs erlitten hat. Sprich daher nicht mehr mit ihm darüber!”

Muhammad blieb vom Monat Rabi'a al-Awwal (3. Monat) bis zum Safar (2. Monat) des folgenden Jahres in Medina. In dieser Zeit wurde der Bau seiner Moschee und seiner Wohnungen vollendet.

 

11.8 Muhammads erste Kanzelrede

Wie mir von Abu Salama ibn Abd al-Rahman berichtet worden ist, hat Muhammad in seiner ersten Kanzelrede (Allah bewahre uns davor, ihm etwas in den Mund zu legen, was er nicht gesagt hat!), nachdem er Allah gelobt und gepriesen hatte, folgendes gesagt: “O ihr Leute! Schickt gute Werke für euch voraus!11 Bei Allah, wenn einem von euch wegen Angst vor dem Jüngsten Tag das Bewußtsein geraubt wird, dann wird seine Herde ohne Hirte sein. Dann wird ihm Allah ohne Dolmetscher und Kämmerer sagen: ,Ist dir nicht mein Gesandter begegnet und hat dir meine Botschaft überbracht? Ich habe dir Güter geschenkt und Wohltaten erzeigt. Was hast du für deine Seele vorausgeschickt?' Er wird dann nach rechts und nach links schauen und nichts finden, und er wird vorwärts blicken und nichts als die Hölle sehen. Wer (sein Gesicht) sich selbst vor der Hölle bewahren kann – und wäre es nur mit einem Stück von einer Dattel -, mag es tun. Wer nichts findet, mag es durch ein gutes Wort tun. Jede gute Tat wird zehn- bis siebenhundertfach vergolten. Friede sei mit euch und Allahs Segen und Barmherzigkeit!”

11.9 Muhammads zweite Kanzelrede

Ein andermal hielt Muhammad folgende Kanzelrede: “Preis dem Herrn! Ich lobe ihn und flehe ihn um Beistand an. Allah ist unsere Zuflucht vor unseren eigenen Bosheiten und unseren sündigen Taten. 'Wen Allah leitet, der wird von niemand verführt. Wen aber Allah in die Irre führt, den kann niemand mehr recht leiten' (Sure al-Kahf 18,17)”12.

“Ich bekenne: Es gibt keinen Gott außer Allah. Er hat keinen Teilhaber neben sich. Die beste Rede der Welt ist das Wort Allahs. Gesegnet ist der, dem Allah sein Wort in sein Herz gesenkt hat, den er vom Unglauben zum Islam führte und der den Qur’an allen anderen Erzählungen vorzieht. Er ist die beste und eindringlichste Rede der Welt. Liebt, was Allah liebt! Liebt Allah von ganzem Herzen! Werdet Allahs Wort nie überdrüssig und hört nicht auf, es zu wiederholen!13 Verstockt euer Herz nicht gegenüber Allahs Wort, denn es ist das Beste und Erlesenste, was Allah geschaffen hat. Er nannte den Qur’an das Auserwählteste und das Vorzüglichste von allen Reden und allem, was dem Menschen gegeben worden ist, sowohl Erlaubtes wie Verbotenes. Betet Allah ohne Teilhaber an! Fürchtet ihn in echter Gottesfurcht! Seid aufrichtig gegen Allah in allem, was ihr mit dem Munde sprecht! Liebt euch untereinander im Geiste Allahs, denn Allah zürnt, wenn das Schutzbündnis mit ihm gebrochen wird. Friede sei mit euch und Allahs Barmherzigkeit!”

 


Footnotes
1 Die Auswanderung Muhammads und seiner Gemeinde von Mekka brachte eine grundlegende Veränderung für den Islam mit sich. Muhammad lebte in Mekka 12 Jahre lang als verfolgter Prophet mit erstaunlicher Durchhaltekraft. Die Urgemeinde bewährte sich als bedrängte Beterschar. In Medina entwickelte Muhammad sich zu einem zielstrebigen, skrupellosen Staatsmann, der vor keiner noch so harten Entscheidung zurückschreckte. Er formte aus einer passiven, auf das Gericht Allahs wartenden Gemeinde durch systematische Gehirnwäsche eine fanatische, draufgängerische Kämpferschar. Die mekkanischen Suren besitzen noch einen mitreißenden prophetischen Schwung; die medinesischen Suren dagegen muten wie ein undurchdringliches juristisches Gestrüpp an. In Mekka glich Muhammad einem sprühenden Vulkan, in Medina erstarrte die Lava seiner Offenbarungen in Vorschriften und Gesetzen. Die Moslems erkannten frühzeitig den entscheidenden Unterschied zwischen der Zeit in Mekka und dem neuen Zeitalter in Medina und ließen den islamischen Kalender mit dem Datum der Auswanderung Muhammads beginnen (622 n.Chr.). Diese Festlegung zeigt, daß weder die Geburt des Propheten noch der Beginn der sogenannten Offenbarungen noch die Entstehung seiner Gemeinde als “Vollislam” angesehen werden. Erst als der Islam ein Staat (Stadtstaat) wurde, galt er als gegründet. Der Islam versteht sich nicht als eine Religion im Sinne der europäischen Aufklärung, welche die Trennung von Religion und Staat voraussetzt, sondern als eine Staatsreligion, die die Einheit von Religion und Politik verlangt. Alles, was die Moslems in Mekka erlebten, galt lediglich als Vorbereitung zur Machtergreifung und zum Hervortreten des Vollislam.
2 Banu, Bana, Bani heißt die Söhne oder Nachkommen eines Stammvaters.
3 Jesus besaß kein eigenes Reittier. Er befahl seinen Jüngern zwei Esel auszuleihen und ihrem Besitzer zu sagen, der Herr benötige sie. Jesus blieb auf die Hilfe Gottes, seines Vaters, und die Güte seiner Freunde angewiesen, bevor er als König unter Hosianna-Rufen in Jerusalem einzog. Er floh nicht vor der ihm feindlich gesinnten Stadt, sondern bestieg einen Esel und ritt auf ihm bewußt dem Tod am Kreuz entgegen. Jesus war sanftmütig und von Herzen demütig. Er besaß den Mut zur Wehrlosigkeit und starb als Sühneopfer für alle. Muhammad jedoch trieb der Wille zur Macht und sein Selbsterhaltungstrieb zur (seit langem vorbereiteten) Auswanderung. Er dachte nicht daran, für Freunde oder Feinde zu sterben; er wollte leben, herrschen und siegen.
4 Die List ist ein anerkanntes, legales “Mittel zum Zweck” im Islam. Vergleiche dazu Sure Al 'Imran 3,54.
5 Seit der Ankunft Muhammads in Yathrib wurde die Stadt “Medina” genannt, was soviel wie “die Stadt” heißt, die Muhammad und seinen Anhängern Zuflucht gewährte. Nach einer anderen umstrittenen These soll der Name al-Medina ursprünglich die Bedeutung “Ort des Gerichtes” oder “Amtssitz der Richter” gehabt haben.
6  Ausgerechnet ein Jude aus Yathrib (Medina) erkannte Muhammad zuerst. Die Juden bildeten die Oberschicht in dieser Stadt. Sie besaßen die Thora als Rechtsquelle, hatten handwerkliche Fertigkeiten entwickelt und waren wohlhabend.
7 Ali, der Vetter und Adoptivsohn Muhammads, fungierte als sein Vermögensverwalter, weil die Sippe seines Vaters Abu Talib ihn schützte und er noch nicht 20 Jahre alt war.
8 Jesus hatte es nicht nötig, sich einem Tier als seinem Lotsen anzuvertrauen. Er sandte Petrus und Johannes und sagte ihnen im voraus, wie und wo sie den geheimen Ort seines letzten Abendmahls finden würden (Lukas 22,8-13).
9 Das arabische Wort “Djami' ” heißt “der Sammelnde, der Vereinigende, der Umfassende,” was in Deutsch mit Moschee wiedergegeben wird.
10 Muhammad bevorzugte gelegentlich die Auswanderer aus Mekka. Das führte zu erheblichen Spannungen zwischen den Moslems aus Mekka und aus Medina. Diese Spannungen traten später bei der Wahl seines Nachfolgers offen zutage.
11 Der Islam ist eine Religion, die auf Werkgerechtigkeit aufgebaut ist. Die Gerechtigkeit aus Glauben ist von zweitrangiger Bedeutung, denn der Glaube und seine Bezeugung werden als “gute Werke” verstanden. Eine Rechtfertigung aus Gnaden aufgrund eines stellvertretenden Opfers ist dem Islam fremd. Jeder muß sein eigenes Heil schaffen. Die Angst vor dem Gericht Allahs und der Hölle ist die Triebkraft im Benehmen eines Moslems, nicht die Liebe oder der Wille zum Dienen. Paulus offenbarte jedoch, daß kein Mensch durch das Tun des Gesetzes oder durch gute Werke gerecht werden kann. Hier liegt der grundlegende Irrtum Muhammads und des Islam.
12 Die verkürzte Form dieser Einleitung (hervorgehobener Text) dient bis heute als obligatorische Einleitung einer Freitagsansprache in der Mo-schee. Der Islam lehrt eine doppelte Prädestination: Allah bestimmt die einen zum Heil, die anderen zum Verderben (Suren Ibrahim 14,4; al-Nahl 16,93 u.a.). Die Freiheit des Menschen ist im Islam sehr begrenzt. Trotzdem ist ein Moslem für seine guten und bösen Taten am Tage des Gerichts verantwortlich. Der Moslem soll deshalb Allah fürchten und anbeten, in der Hoffnung, daß Allah ihn später aus dem Feuer der Hölle wegen seiner guten Werke erretten werde (Sure Maryam 19,72).
13 Das arabische Wort “Qur’an” heißt wörtlich: “Die Lesung, der Rezitationstext” und wird im Islam ausschließlich für die Suren Muhammads verwendet. Der Qur’an gilt als das abschließende, fehlerlose Wort Allahs, das Muhammad durch den Engel Gabriel bei seinen epileptischen Anfällen diktiert worden sein soll. Dieses Wort soll nicht bloß in die Köpfe, sondern vor allem in die Herzen gesenkt werden. Jeder Moslem soll den Qur’an auswendig lernen. Das wird als ein rechtfertigendes Werk verstanden. Die Unterwerfung unter Allah zeigt sich unter anderem im Auswendiglernen des Qur’ans, das am Tage des Gerichts seinen Lohn finden werde.